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Die Kinder des - Verlag Josef Knecht

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schäftigt waren – vornehmlich mit Cristino –, schlüpfte er unter<br />

Verzicht auf zeitraubende Fragen um Erlaubnis aus dem Haus und<br />

machte sich auf den Weg.<br />

Als Fabiou die Plaço dis Jacobin erreichte, war dort nicht allzu viel<br />

los. Ein Bettler flehte um Almosen für einen einarmigen Blinden,<br />

ein armer Irrer stand auf einem leeren Weinfass und verkündete<br />

den Weltuntergang. Ein paar <strong>Kinder</strong> spielten Fangen. Sie benutzten<br />

die Pin de Genas als Abschlagplatz.<br />

Warum die Pin de Genas Pin de Genas hieß und nicht zum<br />

Beispiel Pin dei Jacobin, war ein Rätsel, dem Fabiou nächstes Jah r<br />

nachgehen wollte. Es war ein großer, mächtiger Baum, der in der<br />

tiefstehenden Abendsonne einen breiten, düsteren Schatten über<br />

die Ostseite <strong>des</strong> Platzes und die anliegenden Gebäude warf. Kenner<br />

wie Jean de Mergoult wussten zu berichten, dass man an dieser<br />

Pinie fünf Protestanten auf einmal aufhängen konnte. Jetzt freilich<br />

schwankten die Äste harmlos und leer im sanften Abendwind, die<br />

Zweige vergoldet von der sinkenden Sonne, und Fabiou, der noch<br />

nie eine Hinrichtung gesehen hatte, versuchte sich den Baum mit<br />

fünf daran hängenden toten Protestanten vorzustellen, doch das<br />

Bild, das dabei herauskam, war so abstrus, dass er es rasch wieder<br />

ließ.<br />

Es gab in Ais kein eigentliches Protestantenviertel, so wie es ein<br />

Judenviertel gab. Was sicher auch damit zu tun hatte, dass es in Ais<br />

offiziell keine Protestanten gab, zumin<strong>des</strong>t keine lebenden. Dennoch<br />

wusste jeder, dass die meisten Protestanten in der östlichen<br />

Ville Comtale wohnten, südlich der Carriero dei Salin. Hier gab<br />

es viele Händler und kleine Kaufleute. <strong>Die</strong> meisten Protestanten<br />

gehörten dieser Gesellschaftsschicht an.<br />

Glaubte man der Theorie von Sébastien, war es an sichganz schön<br />

wagemutig, kurz vor Sonnenuntergang als Katholik in einem Gebiet<br />

herumzugeistern, das vornehmlich von Protestanten bewohnt<br />

war. Trotzdem, selbst wenn es unter den Protestanten einen wahnsinnigen<br />

Mörder gab, schätzte Fabiou die Masse der Protestanten<br />

eher als weinerliche Betschwestern ein, die ihm nicht allzu große<br />

Angst einjagten. Er schlenderte durch den Camin de Nazareth und<br />

bog in die Carriero dou Gran Pous ein. Wasgenau er suchte, wurde<br />

ihm erst klar, als er es fand.<br />

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