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Die Kinder des - Verlag Josef Knecht

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Wir gehen alle in die Messe und danach auf den Friedhof, und dabei<br />

bleibt es!»<br />

***<br />

«Credo in unum deum, patrem omnipotentem, factorem coeli et<br />

terrae, visibilium omnium et invisibilium…»<br />

Gesenkten Hauptes saß Cristino auf der harten Holzbank, die<br />

Hände andächtig gefaltet, die Augen ebenso andächtig der Marienstatue<br />

zu ihrer Linken zugewandt, diedie Abendsonne,diedurch<br />

die Rosette über dem Hauptportal fiel, in rotes und blaues Licht<br />

tauchte. Schlank und schön die Mutter Gottes, goldenes Haar von<br />

blauem Samt bedeckt, lieblich das Lächeln, das ihre Lippen umspielte,<br />

und der Blick aus ihren Augen, der auf das Kind in ihren<br />

Armen gerichtet war, ein properer, wohlgenährter Säugling, nur<br />

mit einer Windel bekleidet, doch in seinen Augen bereits der Blick<br />

<strong>des</strong> Herrschers über alle Himmel und alle Erden, ein Finger der<br />

rechten Hand ausgereckt, mit dem er sie jetzt bereits aussandte, die<br />

Heerscharen seiner Gläubigen, auf dass sie alle Völker zu Jüngern<br />

machten und den Glauben, den wahren, hinaustrugen in alle Welt.<br />

Wenn Cristino an Jesus dachte, dann war es stets dieser Jesus:<br />

strahlend, pausbäckig, goldlockig, Lachen in seinem Gesicht. Den<br />

anderen versuchte sie aus ihrem Denken zu verbannen, den, der<br />

ausgezehrt und blutüberströmt an einem Kreuz hing, fingerdicke<br />

Nägel durch seine Füße und seine Handgelenke getrieben und in<br />

seinen Augen jener Ausdruck unaussprechlicher Qual, der sie innerlich<br />

schreien ließ. Karfreitags, wenn das Evangelium verlesen<br />

wurde, verfluchte sie alljährlichdas Schicksal, das zugelassen hatte,<br />

dass sie Lateinlernte und je<strong>des</strong> der eindringlichen Worte <strong>des</strong> Priesters<br />

verstand, und wenn es zu der Stelle kam, ander Jesus geschlagen<br />

und gegeißelt und schließlich ans Kreuz genagelt wurde, ließ<br />

sie stets den Kopf in die Hände sinken und versuchte verstohlen,<br />

ihre Finger auf den kleinen Knorpel vor ihren Ohren zu pressen<br />

und so die Stimme <strong>des</strong> Priesters auszusperren, und wenn ihr dies<br />

nicht gelang, murmelte sie leise <strong>Kinder</strong>reime vor sich hin in dem<br />

verzweifelten Versuch, jene Worte zu übertönen.<br />

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