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Die Kinder des - Verlag Josef Knecht

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War es Anmaßung, Neugierde oder Spiel mit dem Schicksal?<br />

Ohne einen Moment <strong>des</strong> Nachdenkens folgte Antonius ihm, schlich<br />

ihm nach durch den Kreuzgang, hinein in das Refektorium, geduckt<br />

hinter Tische und Bänke, ein unhörbarer Schatten zwischen<br />

anderen Schatten. Der Kahle schritt unbeirrt weiter, er war gut,<br />

aber nichtgut genug für Bruder Antonius, der ihm nachglitt so unmerklich<br />

und unaufhaltsam wie ein Gedanke, zu einem der schmalen<br />

Fenster, von denen aus man auf die Straße blicken konnte…<br />

Blitzschnell. Ein Griff nach draußen, ein Satz auf die Br üstun g<br />

<strong>des</strong> Fensters, und der Fremde schwang sich nach draußen. Bis Antonius<br />

am Fenster war, sah man unten nur noch einen schwarzen<br />

Schatten um die Biegung verschwinden.<br />

Antonius atmete laut auf, so groß war die Erleichterung. Einen<br />

Moment lang stand er noch so und starrte auf die nächtliche Straße<br />

hinunter. Was in aller Welt hatte der Fremde hier gewollt?<br />

<strong>Die</strong> Augen <strong>des</strong> Herrn blicken auf die Gerechten, und seine Ohren<br />

hören ihr Schreien.<br />

Antonius machte kehrt und lief zur Klosterkapelle zurück.<br />

<strong>Die</strong> Szene schien sich auf den ersten Blick nicht verändert zu<br />

haben, als er die Tür aufdrückte. Da war die Kerze, die sacht im<br />

Luftzug von der Tür flackerte, da war Bruder Servius auf der Bank<br />

vor dem Altar. Doch, etwas hatte sich verändert. Etwas in seiner<br />

Haltung. Sein Kopf, der leicht zur Seite gesunken war, das Gebetsbuch,<br />

das vor seinen Füßen auf dem Boden lag.<br />

Still, um den Frieden der Kapelle nicht zu stören, schritt Bruder<br />

Antonius auf die Bank zu. <strong>Die</strong> Gewohnheit ließ ihn zum Knicks<br />

ansetzen, aber er brach ab, bekreuzigte sich nur langsam und<br />

konzentriert. <strong>Die</strong> vertraute Handbewegung wirkte dem Zittern<br />

entgegen.<br />

Bruder Servius war auf seinem Sitz zusammengesunken. Im<br />

Schein der Kerze war deutlich der große glänzende Fleck auf seiner<br />

Kutte über der Brust zu erkennen und die rote Pfütze, die sich unter<br />

seinen Füßen ausgebreitet hatte.<br />

Langsam bückte sich Bruder Antonius, hob das Gebetsbuch auf<br />

und legte es auf die Bank zurück. Sein Blick fiel auf die Wand über<br />

Bruder Servius’ Kopf. Ein einzelnes Wort stand dort in großen,<br />

schreiend roten Lettern geschrieben.<br />

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