04.11.2013 Aufrufe

Die Kinder des - Verlag Josef Knecht

Die Kinder des - Verlag Josef Knecht

Die Kinder des - Verlag Josef Knecht

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.

YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.

Klarheit und Verständigkeit in die Welt hinaus blicken konnte,der<br />

Geist bereit für Erkenntnisse, die ihm zu jeder anderen Zeit verschlossen<br />

geblieben wären. Es war kein wirkliches Beten, wie seine<br />

Hochwürden der Abt annahm, kein Paternosterquiesincoelis und<br />

kein Ave Maria, es war kein Philosophieren über das Wesen der<br />

Welt und kein Forschen, kein Blick in die Himmelssphären aufder<br />

Suche nach neuen Wandersternen. Es war nichts von alle dem und<br />

es war alles zugleich, Verstand und Seele, Glaube und Wissen, Suche<br />

und Erfüllung. Der Schlaf reute ihn nicht, Schlaf ist Unsicherheit,<br />

Chaos, Albträume, es gab keinen Grund, auch nur eine Sekunde<br />

mehr als unbedingt nötig in diesem Zustand zu verbringen.<br />

<strong>Die</strong> Lautlosigkeit hatte er sich bewahrt. Man verlernt keine<br />

Dinge, die eine ganze Kindheit lang zum Leben gehörten wie das<br />

tägliche Brot. Mehr als das tägliche Brot. Bei Tag legte man seine<br />

Fähigkeit, ohne je<strong>des</strong> Geräusch die Gänge entlangzugleiten, als<br />

Demut aus. Des Nachts war sie eher dazu geeignet, Latrinengänger<br />

zu Tode zu erschrecken, wenn er plötzlich wie aus dem Nichts<br />

neben ihnen stand und sie mit einem freundlichen «Guten Abend,<br />

Bruder» begrüßte. Ein bisschen Eitelkeit war natürlich dabei, Vergnügen<br />

über ihre verdutzten Gesichter, dieselbe Eitelkeit, die ihn<br />

ab und zu dazu verleitete, sich an Katzen anzuschleichen, und das<br />

Bedürfnis, sich zu beweisen, dass er ES noch immer beherrschte.<br />

Doch vor allem war es sein Schutzbedürfnis, was ihn dazu brachte,<br />

die Lautlosigkeit beizubehalten. Das Bewusstsein, die anderen<br />

sehen und hören zu können, ohne dass sie ihn sahen oder hörten,<br />

verlieh ihm ein Gefühl der Sicherheit.<br />

Heute Nacht freilich war etwas anders.<br />

Grundsätzlich hatte es nicht anders begonnen als in zahllosen<br />

Nächten davor. Nachdem Completoriumhatte er sich in seine Zelle<br />

zurückgezogen, hatte gebetet, sich dann auf seine Pritsche gelegt<br />

und auf den Schlaf gewartet, den Schlaf, der manchmal kam und<br />

manchmal nicht. Heute war Letzteres der Fall gewesen, so dass er<br />

sich eine halbe Stunde später bereits wieder erhoben hatte, lautlos<br />

aus seiner Zelle geglitten und eben so lautlos dem Kreuzgang zugestrebt<br />

war. Erstdort, als er neben der verärgerten Katze aufdem<br />

Boden kniete, hatte er begriffen, dass etwas nicht stimmte. Der<br />

siebte Sinn, der ihm in vergangenen Tagen so oft die Haut geret-<br />

106

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!