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Die Kinder des - Verlag Josef Knecht

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Degrelho. Hinter sich hörte sie die Schritte ihrer Verfolger. «Da ist<br />

sie!», brüllte einer von ihnen, eine raue, tiefe Männerstimme.<br />

«Loís!», kreischte sie. «Loís, hilf mir! Hiiiilf miiiir!»<br />

So viele gegen einen. Der Hirsch auf dem Fresko, das sich zu ihrer<br />

Linken an der Wand entfaltete, die drei Hunde, die nach seinem<br />

Hals schnappten, das Blut auf seinem Fell, die Jäger mit der Armbrust<br />

und den Speeren. So ist es im Leben, sagte der traurige Blick<br />

<strong>des</strong> Hirsches, als sie an ihm vorbeirannte, ihr Herz rasend bis zum<br />

Hals, ihre Lungen schreiend nach Luft, immer ist es so, sie sind so<br />

viele, und du bist allein. So gemein. So unendlich gemein.<br />

Wieder stolperte sie. <strong>Die</strong>smal war das Kleid schuld, in <strong>des</strong>sen<br />

Saum sie sich verfangen hatte, sie schlug der Länge nach auf<br />

den Boden, ihre Ellenbogen heulten auf, als sie über den Marmor<br />

schleiften, ihre Knie schrien um Gnade, schluc hzend ra ppelte sie<br />

sich wieder auf, ein stechender Schmerz in ihrem rechten Fußgelenk,<br />

oh Gott, Gott, hilf mir doch, ich will nicht ster ben, ich will<br />

nicht, ich bin doch erst sechzehn, das ist zu jung zum Sterben, hilf<br />

mir doch, bitte!<br />

«Loís! Baroun Degrelho! Hilfeee!»<br />

Ihre Kräfte ließen nach. Wimmernd und schweißüberströmt<br />

humpelte sie über den Gang, jeder Schritt mit ihrem rechten Fuß<br />

jagte höllische Schmerzen durch ihren Knöchel, und so nah waren<br />

die Schritte und die Rufe der Männer nun, vier Männer gegen ein<br />

Mädchen, vier Männer mit Schwertern und Messern und Säbeln.<br />

Ihre Muskeln protestierten schmerzend, ihr Atem war ein gequältes<br />

Fiepen wie von einer verendenden Maus, hier war es, hier hatte<br />

im Traum das tote Mädchen gelegen, ausgestreckt auf dem Fußboden,<br />

aufgequollen das kleine Gesicht.<br />

«Mamaaa!», schrie sie heulend. «Oh nein, bitte, nein!<br />

Mamaaaa!»<br />

Und da war die Biegung, die der Gang nach rechts macht, und<br />

sie folgte ihr, wie Agnes ihr einst gefolgt war, denn einen anderen<br />

Weg gab es nicht, und hinter ihr gellten die Schreie der Jäger<br />

über den Gang, und keuchend humpelte sie vorwärts, und da war<br />

die Stelle, an der die Gänge sich kreuzten, der Stern aus blauen<br />

und olivgrünen Steinen auf rotem Grund, schwarz glänzend im<br />

Mondlicht, und darüber das Gewölbe, das so hoch und weit war wie<br />

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