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Die Kinder des - Verlag Josef Knecht

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ich bin dran, hatte es gesagt. Meine Schaukel. Heftig riss Cristino<br />

sich los. «Das ist Unsinn!», rief sie. «Tote kommen nicht zurück!»<br />

«Manchmal schon!», sagte die Frau lächelnd. «Manchmal werden<br />

sie gerufen.» Und zu Cristinos hellem Entsetzen griff sie nach dem<br />

Medaillon und sagte: «<strong>Die</strong>s ist das Bindeglied. Maria, die heilige<br />

Jungfrau, hat ein Band gewebt zwischen Euch und meiner kleinen<br />

Agnes. Ich spüre, wie ihre unschuldige Seele in Euch wirkt, mein<br />

Kind. Seid beruhigt, sie wird Euch immer nahe sein.»<br />

Cristino fand es alles andere als beruhigend, den Geist eines ermordeten<br />

kleinen Mädchens in ihrer Nähe zu wissen. Sie riss der<br />

Frau das Medaillon aus der Hand, drehte sich um und rannte.<br />

Ohne nachzudenken hatte sie einen anderen Weg eingeschlagen<br />

als den, den sie gekommen war, ein verwilderter Pfad wie alle übrigen,<br />

mit Wurzeln, die sie stolpern ließen und Dornenranken, die<br />

sich in ihrem Kleid verfingen, und mehr als einmal hörte sie das<br />

verdächtige Reißen von Stoff auf ihrer wilden Flucht durch den<br />

Park. Dann mündete der Pfad in einen breiteren Weg, von dem<br />

Cristino nur hoffen konnte, dass es der Weg zum Tor war, links<br />

musste das Tor liegen, also nach links… Und während sie sich in<br />

diese Richtung wandte, warf sie einen Blick über die Schulter zurück,<br />

und einen Augenblick lang sah sie das Haus.<br />

Vielleicht war «sehen» zu viel gesagt, mit dem dazwischen liegenden<br />

Buschwerk und dem Abstand von noch einigen hundert<br />

Schritten zu dem großen Gebäude. Im Grunde war die Zeitspanne<br />

auch viel zu kurz, um irgendetwas wahrzunehmen außer einer<br />

hellen Mauer und dunklen Fensterhöhlen. Dennoch, als sie in<br />

panischer Flucht den verwucherten Weg entlangstolperte, stand<br />

dieses flüchtig wahrgenommene Bild in einer Deutlichkeit vor ihren<br />

Augen, als habe sie es stundenlang betrachtet: die Treppe mit<br />

dem geschwungenen Geländer, an deren Enden steinerne Greifvögel<br />

kauerten, zu beiden Seiten auf den Stufen große tönerne<br />

Töpfe, in denen Oleander blühten, die bemalten blauen Fensterläden,<br />

weit zur Seite geschwungen, um die Sonne einzulassen,<br />

das mit roten Ziegeln gedeckte Dach, von dem wehende Banner,<br />

verziert mit den Silhouetten schwarzer Vögel, ins Blau <strong>des</strong> Himmels<br />

hinaufflatterten, der steinerne Balkon, den ein Baldachin aus<br />

weißem Stoff überspannte. Dann war da das Tor, durch das sie hi-<br />

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